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KOREAN CULTURAL CENTER

Saju - Die koreanische Kunst der Wahrsagerei

14.11.2022 | 413 Hit

Von Gastautorin Elif Koca (Koreanologie-Studentin der Universität Wien) 


Ein Café für Wahrsagerei in Korea. 

Ein Café für Wahrsagerei in Korea. Quelle: Kevin Lee Selzer/The Korea Herald


“Mit 31 werden Sie finanzielle Stabilität erreichen.” “Im Jahr 2016 haben Sie etwas wichtiges verloren." “Ihr Partner bringt Ihnen sehr viel Stabilität und ergänzt sie.”

Sei es aus Überzeugung, aus Verzweiflung oder einfach aus Spaß - das Aufsuchen eines Wahrsagers ist auch heute noch ein lebendiger Bestandteil der koreanischen Kultur. Auf den Straßen von Gangnam, Hongdae, Myeongdong und vielen mehr sucht man nicht lange nach Wahrsagereishops oder Cafés, die einen Blick in die Zukunft versprechen und Antworten auf Fragen geben, die sich jeder hier und da mal stellt.


 

Quelle: The Korea Herald[


“Das Schicksal mischt die Karten, und wir spielen.”

Werde ich erfolgreich? Werde ich heiraten? Wie steht es allgemein um die Liebe in meinem Leben? Muss ich mich für etwas wappnen? Es sind diese Fragen und oft auch der Wunsch nach ein wenig Halt, die Leute dazu bewegen, einen Wahrsager aufzusuchen. Selbst die Kompatibilität mit dem Partner kann genauestens berechnet werden, eine Tradition, die auch heute noch fortlebt. So kann man sich ein Bild davon schaffen, wie es um die eheliche Harmonie, also um das gunghap (궁합), steht. Oder man wundert sich schlicht, was einen im neuen Jahr erwarten wird. Deshalb ist es nicht unüblich vor Allem zwischen Dezember und Februar einen Wahrsager aufzusuchen, der einem genaustens verrät, worauf man im kommenden Jahr achten sollte.


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Ein Saju-Leser analysiert das Gunghap eines Paares, Quelle: The Korea Herald


Das Geschäft mit der Zukunft

Auch wenn die meisten Menschen in Korea buddhistisch oder christlich sind, hat fast jede/r Koreaner:in zumindest einmal einen Wahrsager aufgesucht. Das belegt auch eine Studie von Trend Monitor, laut welcher rund zwei Drittel der Befragten zumindest ein Mal im Jahr bei einer Wahrsagerin waren. Das liegt aber nicht daran, dass das koreanische Volk außergewöhnlich abergläubisch ist. Viel eher ist Saju als eine Art kultureller Praxis zu verstehen, die das Leben hie und da ein wenig einfacher macht, als es vielleicht im Moment ist und einem so auch Kraft gibt.

Es überrascht also nicht, dass eine 3,7 Milliarden Euro schwere Industrie in dem Interesse am eigenen Schicksal steckt. Bis zu 450,000 WahrsagerInnen, davon rund 150.000 SeniorInnen, arbeiten laut Schätzungen in der Industrie, doch immer beliebter werden auch digitalisierte und automatisierte Versionen der Wahrsagerei. Daher wird angenommen, dass sich die Zahlen dementsprechend in den kommenden Jahren verändern könnten. Immer beliebter und nun auch für den westlichen Markt zugänglich sind Apps, die auf der Basis von Saju Menschen aus aller Welt miteinander “matchen” lässt.


 

Quelle: Hang5


Die, die nach wie vor die Offline Lesung bevorzugen, zahlen dann oft rund 3,000 Won (2-3 Euro) pro Frage, das kann aber auch deutlich teurer mit dem Alter, der Wichtigkeit der Wahrsagung und der “Qualität” des Wahrsagers werden. Doch wie kommen die Wahrsager überhaupt zu den Antworten auf diese Fragen?


Saju - Die 4 Säulen

Saju p’alcha oder kurz Saju (사주/ 四柱) - wörtlich übersetzt bedeutet das 4 Säulen des Schicksals  - gilt als einer der beliebtesten Formen der Wahrsagerei in Korea. Es ist nicht unüblich p’alcha auch außerhalb des Kontextes der Wahrsagung schlicht als Schicksal zu verstehen. Saju ist eine klassische Form der Wahrsagerei, bei der die kosmische Energie der 4 Säulen analysiert wird, die eine Person zu dem machen, was sie ist. Es geht hierbei um die Stunde, den Tag, den Monat und das Jahr der Geburt. Die Analyse selbst setzt sich aus einer Fusion chinesischer Astrologie, der Yin-Yang Philosophie und ihren 5 Elementen Wasser, Holz, Feuer, Erde, Metall einerseits und koreanischen Theorien zu Saju andererseits zusammen.

Anhand des Fokuses auf diesen Theorien und des historische Stellenwertes Sajus erkennt man zunächst auch das Selbstverständnis der Leser, die sich selbst oft nicht als Wahrsager bezeichnen, sondern als Philosophen (철학자). Das liegt einerseits daran, dass die Arbeit rund um Saju enorm viel Interpretation und Grundwissen voraussetzt und andererseits daran, dass vor der japanischen Kolonialisierung Saju instutionell ausgeübt wurde. Abgesehen davon, gehört zum Saju auch jede Menge Interpretation und Analyse der teils recht komplexen chinesischen Texte.

 

Die Notizen einer Saju-Wahrsagerin, die es bedarf, um eine Analyse machen zu können. Bildquelle: The Korea Herald


Diese Texte behandeln die zehn himmlische Stämme (甲-乙-丙-丁-戊-己-庚-辛-壬-癸) und zwölf irdische Zweige (子-丑-寅-卯-辰-巳-午-未-申-酉-戌-亥 ), die im chinesischen Kalender eine wichtige Rolle spielen und aus welchen ein 60-Jahres-Zyklus entspringt. Jede Person hat nun einen irdischen und einen kosmischen Zweig, aus dem dann schließlich ein Satz von vier Säulen und acht Zeichen gebildet wird, die für einen bestimmten Geburtszeitpunkt einzigartig sind.

Doch um tatsächlich analysieren zu können, bedarf es auch individiueller Methoden. Während ein Leser sich sehr philosophisch an Saju heranwagt, hat der andere vielleicht einen sehr linguistischen oder sogar forensichen Zugang, bei der die Beobachtung der Person eine essentielle Rolle spielt.


Eine Saju - Lesung

Doch zu Beginn einer jeden Analyse wird nach den vier Säulen gefragt. Ein Leser [2] namens Haedong - nim, der östliche Philosophie studierte und ein eigenes Büro im Finanzdistrikt Mapo hatte, stellte für einen Artikel [2]  eine Lesung eine Lesung zur Verfügung. Die Person, die er analysiert hat, ist 1979, am 18. November um 4 Uhr in der Früh geboren. Gemäß dieser Daten erhält er folgendes (wird von rechts nach links und von oben nach unten gelesen):

壬 丁 丙 己

寅 丑 子 未

Gelesen wird das dann als:

Jahr: 己 未 → Ying und Erde über Schaf

Monat: 丙子 → Yang und Feuer über Ratte

Tag: 丁丑 → Ying und Feuer über Ochse

Uhrzeit: 壬寅 → Yang und Wasser über Tiger

Hier erkennt man, inwiefern Ying-Yang, die Elemente und die chinesischen Sternzeichen zusammenhängen. Der Leser kann dann daraus einerseits interpretieren, wie der Charakter, der Geschmack, die Farben einer Person aussehen und andererseits können so auch vorhersagen, wie die sozialen und familiären Beziehungen der Person aussehen werden.

Haedong-nim schloss aus folgenden Daten detaillierte und spezifiische Schlüsse. So werde diese Person, wenn sie 2008 nicht heiratet, bis 2012 warten müssen. Sie habe eine schlechte Beziehung zu ihrem Vater, aber die Beziehung zu ihrer Mutter sei ausgesprochen stark. Sie sei eine fürsorgliche, aber erfolglose Person. Ihr Bruder hingegen, würde erfolgreich werden, weshalb sie ihm gegenüber respektvoll sein sollte. Sie sei zum Zeitpunkt der Lesung depressiv, habe Stimmungsschwankungen und sei aufbrausend. Auf der Basis dieser Lesung baut der Leser ein Gespräch auf. Es ist wohl die Interaktion und die Möglichkeit sehr klare und präzise Antworten zu bekommen, die Leute dazu bewegt immer wieder zu einem Saju-Leser zu gehen. Ein Besuch, der für viele den Psychologen ersetzt, da er einen genügend Kraft und Klarheit gebe.


 

Alle essentiellen Informationen rund um das Saju befinden sich im Sammyenotonghoe (삼명통회), das die Enzyklopädie des Sajus betrachtet wird und und von Man Min-young zusammengestellt wurde. Quelle: Kyobobook



Ist alles vorherbestimmt?

Der Saju Leser Haedong betont stets, dass alles im Saju zu finden ist. Man könne also versuchen seine Zukunft mit aller Kraft zu ändern, aber gegen sein Schicksal könne man nicht kämpfen. Ist man dann überhaupt frei? Ist man machtlos? Und wenn zwei Personen das selbe Saju haben?

Statistisch gesprochen ist es äußerst unwahrscheinlich zu Lebzeiten einer Person zu begegnen, die das selbe Saju hat und trotzdem gehen manche Saju - Experten davon aus, dass jede Person bis zu 50 Saju-”Zwilinge” zu haben , jedoch leben sie sehr wahrscheinlich komplett unterschiedliche Leben. Klar ist also, dass es eine Spannung zwischen Schicksal, freiem Willen und dem gelebten Leben gibt.

Ähnlich wie in der christlichen Philosophie fragt man sich auch beim Saju, wie man damit umgehen soll, dass Vorherbestimmung und freier Wille koexistieren müssen, wenn man weiterhin davon ausgehen will, dass Menschen Handlungsmacht haben und dass es ein Schicksal gibt.

Doch die Saju Lesung inkludiert scheinbar diese Faktoren und selbst die Frage des schieren Glücks wird gemäß des kosmischen Systems analysiert. Wie das gemacht wird, ist dann meist eine Frage der Technik und der Interpretation. Man kann also sagen, dass selbst wenn das Schicksal als unveränderlich artikuliert wird, die Merkmale des Schicksales nach wie vor mit Veränderung, Bewegung und Fließbarkeit verbunden sind.  So versteht ein Saju-Leser das Saju als einen kosmischen Barcode, der für immer einen selbst und sein Leben markiert. Ein anderer hingegen versteht Saju als das Lernen die Zeit zu kontrollieren, wobei hier natürlich der Fatalismus fortbesteht. [2]

Vielleicht ist es aber eben jene Dichotomie, die reizt. Zu wissen, dass man es einerseits mit einer Fügung zu tun und dass man andererseits dennoch seinen Teil beitragen kann und sollte, um mit dieser Fügung leben zu können.

[1] Jung-Kim, Jennifer. "13 Women and Divination in Contemporary Korea". Coping with the Future. Leiden, Niederlande: Brill, 2017

[2] Kim, David J. “Four Pillars and Four Diviners: Fate, Fluidity, and Invention in Horoscopic Saju Divination in Contemporary South Korea.” Journal of Korean Religions, vol. 10, no. 2, 2019, pp. 301–29.

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